Am 24. April 2025 endete die Unterschriftensammlung einer Europäischen Bürgerinitiative. Unter dem individualistischen Namen „My Voice, My Choice“ fordert sie die EU auf, sogenannten „Abtreibungstourismus“ zu finanzieren – also Frauen zu ermöglichen, für einen Schwangerschaftsabbruch in ein liberaleres Land zu reisen. Was offenbart dieses Vorgehen über den Versuch, die Institutionen zu manipulieren – unter Missachtung des Rechts jedes einzelnen Mitgliedsstaates?
My Voice, My Choice! Das sollte in Wahrheit das Motto aller europäischen Bürgerinnen und Bürger sein. Unsere Stimmen zählen. Unsere Entscheidungen zählen. Unsere Abstimmungen müssen respektiert werden. Umso schockierender ist es, dass dieser Name für eine Bürgerinitiative verwendet wird, die sich direkt gegen die Stimmen, Entscheidungen und Abstimmungen der Europäer richtet. Die Kommission darf dieser Forderung nicht nachkommen, ohne die Freiheiten der Bürger der EU-Mitgliedsstaaten ernsthaft zu verletzen.
Denn: Im Mai 2008 stimmten die europäischen Bürger dem Vertrag von Lissabon zu, der die jeweiligen Zuständigkeiten der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten regelt. Artikel 5 des Vertrags bekräftigt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, wonach die EU nur in Bereichen tätig werden darf, die ihr von den Mitgliedsstaaten ausdrücklich übertragen wurden. Das Thema Abtreibung fällt nicht in die Zuständigkeit der EU, sondern liegt ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten – wie die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Hadja Lahbib, im März 2025 erneut bestätigte. Dennoch fordert die irreführend benannte Initiative die Kommission auf, „alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass Abtreibung sicher und zugänglich für alle ist“. Die Sprecherin der Initiative kündigte sogar an, ein Recht auf Abtreibung in der EU verankern zu wollen. Indem die Kommission eine Initiative registriert, die sie dazu auffordert, ihre Kompetenzen zu überschreiten, handelt sie illoyal gegenüber den Mitgliedsstaaten. Mit den Grundprinzipien des europäischen Rechts zu spielen, bedeutet, einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen.
Der eigentliche Verrat besteht jedoch im vorgeschlagenen Trick: Die Kommission soll einen Mechanismus einführen, der es Bürgern ermöglicht, ihre nationale Gesetzgebung zu umgehen, indem sie in ein anderes Land reisen, um dort zu erhalten, was ihnen zu Hause verwehrt bleibt – und diese „Solidaritätsleistung“ auch noch finanziell unterstützen. Die Strategie ist geschickt und raffiniert formuliert: Ohne konkrete Angaben zur Finanzierung konnte die Kommission die Initiative registrieren, ohne sie aus rechtlichen Gründen sofort ablehnen zu müssen. Vor allem aber grenzt dieses Vorgehen an Heuchelei. „Der Skandal der Welt ist das, was Anstoß erregt – und es ist keine Sünde, im Stillen zu sündigen“, sagte schon Tartuffe. „Unsere Initiative zielt nicht auf eine Harmonisierung oder Beeinflussung der Gesetze und Vorschriften der Mitgliedstaaten ab, sondern fällt vielmehr unter die Unterstützungsbefugnisse der EU“, betonen die Unterzeichner. Doch was soll hier unterstützt werden – und wen? Europäische Bürger, die sich über die von ihrer nationalen Vertretung legitim beschlossenen Gesetze hinwegsetzen wollen? Wie kann das keine Einmischung in nationale Rechtsordnungen darstellen? Es wäre inakzeptabel, wenn die Europäische Union nationale politische Entscheidungen auf diese Weise umgeht, untergräbt oder sabotiert. Die Kommission darf nicht direkt den legitimen Entscheidungen jedes Mitgliedstaates in einem so sensiblen Bereich wie dem Schutz des menschlichen Lebens vor der Geburt widersprechen.
Wenn das Thema Abtreibung allein in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, so liegt der rechtliche Schutz der Würde, des Rechts auf Leben und der Unversehrtheit jedes Menschen ab der Empfängnis sehr wohl im Zuständigkeitsbereich der EU. Der Embryo ist der Beginn des Entwicklungsprozesses eines menschlichen Wesens, wie der EuGH im Urteil Brüstle gegen Greenpeace festgestellt hat. Um im Rahmen ihrer Zuständigkeiten kohärent zu handeln, sollte die EU daher die Finanzierung aller Tätigkeiten beenden, die die Zerstörung menschlicher Embryonen beinhalten – insbesondere in den Bereichen Forschung, Entwicklungshilfe und öffentliche Gesundheit. Genau das forderten 1,8 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2014 mit der Bürgerinitiative One of Us. Diese Initiative ist bis heute unerreicht, obwohl sie mit einem fünfmal kleineren Budget auskommen musste als My Voice, My Choice. Die Kommission lehnte sie ab… Angesichts einer heute vorliegenden Initiative, die ihr inhaltlich diametral entgegengesetzt und offensichtlich rechtswidrig ist, wäre es an der Zeit, sich an diese Forderung – und an die von den europäischen Bürgern festgelegten Zuständigkeiten – zu erinnern.
Unterschriften:
Die Europäische Föderation ONE OF US vereint 50 NGOs aus 19 europäischen Ländern. Jede von ihnen leistet konkrete Hilfe für Frauen und Männer in den Bereichen Mutterschaft, Vaterschaft, Elternschaft und Familienleben. Unser Daseinszweck besteht darin, die menschliche Würde in den Politiken der EU zu schützen – im Einklang mit der Forderung von 1,9 Millionen Bürgerinnen und Bürgern.